Wie ich Amerikaner wurde (4/4)
Einbürgerung mit Umwegen
Am Freitag 27. November 2015 hatte ich, wie Teil 3 erzählt, den Staatsbürgerkunde-Test erfolgreich bestanden. Das machte den Weg frei zum grossen Finale: der offiziellen Einbürgerungszeremonie mit vorbereiteter Rede von Präsident Obama.
Dreieinhalb Monate später war es soweit. Am 16. März 2016 um 13 Uhr Ortszeit war ich eingeladen zur Einbürgerung im berühmten Staples Center im Herzen von Los Angeles. Man hat mir jedenfalls gesagt es sei berühmt, ich hatte den Namen vorher noch nie gehört. Aber ich bin ja auch kein Konzertgänger oder Ballsportfän und insofern entschuldigt.
Mirjam musste leider zur Arbeit und konnte nicht mitkommen, aber per Zufall war Jimmy da auf Besuch. Und so fuhren wir am besagten Mittwoch zu zweit in Richtung Einbürgerung. Das heisst, nicht auf direktem Weg und das wurde uns dann auch fast zum Verhängnis.
Am Morgen hatte ich noch Termine mit Ernährungskunden in der Klinik und Jimmy wollte die Gelegenheit nutzen und auf umliegenden Flohmärkten nach ausgefallenen Foto-Sujets suchen. Wir einigten uns auf den Treffpunkt Klinikparkplatz mit Abfahrtszeit um 12.00h und dann nahm das Übel seinen Lauf.
Meine auf Falschannahmen basierte Zeitrechnung ging so:
Ich musste um 12.55 Uhr beim Staples Center sein. Wir sind in Kalifornien, also beginnt das ganze sicher nicht bevor 13.25 Uhr. Die Mehrheit der Einbürgerungsanwärter haben einen lateinischen Hintergrund, also werden garantiert bis mindestens 13.45 Uhr Nachzügler eintreffen. Wir sollten also mehr als genug Zeit haben für unsere vermutete Fahrzeit von 45 Minuten von der Praxis nach Downtown LA. Und ganz sicher liegt da sogar noch ein Kaffeehalt drin…
Das beinah-Malheur begann damit, dass ich beim letzten Kunden überzogen habe und erst 12.15 Uhr beim Parkplatz war. Von Jimmy keine Spur. Nun, ich dachte mir, er sei wahrscheinlich ums Gebäude herum gewandert, um mich zu suchen. Nach 5 Minuten telefonierte ich auf sein iPhone. Keine Antwort. Nochmals 5 Minuten später ruft er mich zurück. Er wisse nicht mehr genau wo er sei und finde die Klinik nicht, war seine Botschaft.
Ein wenig ungeduldig sage ich ihm er solle zur nächsten sichtbaren Kreuzung spurten und mir die Strassennamen durchgeben. Gesagt, getan. Anhand der erhaltenen Koordinaten und Apple Maps wusste ich nun wo er war. Weitere 5 Minuten später fahre ich endlich los. Nicht mit dem Ziel Einbürgerung sondern zur Search and Rescue Mission “Finde Jimmy”.
Korea Town
Genau 8 Minuten und 24 Sekunden später sitzt Jimmy schliesslich sicher und lebendig neben mir auf dem Beifahrersitz. Endlich können wir auf unser eigentliches Ziel losjagen. Mit knapp 39 Minuten Verspätung. Wegen der Jimmy-Zusatzrunde müssen wir nun Western Avenue runter, mitten durch Korea Town. Wer diese Gegend kennt weiss, es ist die wahre Hölle für zeitlich-unter-Druck-stehende Durchfahrer. Ampeln alle 20 Meter und falls ausnahmsweise nicht, steht sicher ein Lastwagen quer auf der Strasse.
Ich zähle nun ganz fest auf meine zeitliche Berechnung des Anlasses, denn dass wir zur bestellten Zeit dort sein werden, war jetzt unmöglich.
Was ich zu diesem Zeitpunkt zum Glück nicht wusste, weil ich sonst die Nerven komplett verloren hätte, ist:
- die Einzubürgernden werden in Wellen aufgeboten, um die Parkplatz- und Security-Check-Situatiuon vor Ort einigermassen flüssig zu halten. Und ich gehörte bereits zur letzten Welle.
- Für die Latinos ist die Aufnahme zum Staatsbürger der USA das Ereignis ihres Lebens und sie würden wohl eher zu spät zu ihrer eigenen Hochzeit kommen als zur Einbürgerung.
Ankunft im Staples Center
Als wir endlich beim Staples Center ankamen und aus lauter Zufall geradewegs auf den richtigen Sektor trafen, schienen wir die einzigen Ankömmlinge weit und breit zu sein. Die Parkplatz-Zuweiser waren aber alle da und haben uns wie wichtige Staatsmänner mit schwingenden Keulen express-mässig durchgewunken. Das fanden wir dann doch noch cool.
Sehr komisch schien mir jetzt, dass zwar sämtliche der Tausenden von Parkplätzen besetzt waren, aber weit und breit niemand zu sehen war. Da wurde mir klar, dass etwas mächtig schief lief mit meiner Zeitberechnung. Der Wechsel von Shorts in lange Hosen vollzog ich in Rekordzeit und gemeinsam joggten wir etwas zurückhaltend, aber immerhin, los in Richtung Eingang. Das Joggen wandelte sich jedoch nur kurz darauf in einen 100-Meter-Sprint, als mir der erste Security Mann zurief, dass sie in 2 Minuten die Türe zum Saal abschliessen würden.
Randnotiz: Um eingebürgert zu werden muss man den Schwur aufs Land ablegen und deshalb funktioniert ein zu spät kommen nicht, da man ja dann den Schwur nicht abgelegt hat. Darum versiegeln sie vor der Vereidigung die Eingangstüren.
Es blieben mir also ganze 2 Minuten um durch die Eingangshalle zu stürmen, ein Stockwerk nach oben, durch die Security Checks und Dokumentenkontrolle in den Saal zu gelangen. Wie mir dieses Zauberstück gelungen ist und ab wann ich Jimmy verloren habe, weiss ich im nachhinein nicht mehr so genau.
René der Flitzer
Im allerletzten Moment trat ich ich den riesigen Saal. Beschämend bewältigte ich noch die letzte Hürde: Unter den Augen von 3142 Einzubürgernden und sechs bis sieben Tausend Angehörigen mussten ich nun wie ein Flitzer an der Fussball-WM quer durch den Saal rennen, dann aussen rum und von ganz vorne unter der Amerikanischen Flagge hindurch zur hintersten Reihe, um einen leeren Stuhl zu finden. Peinlich, peinlich. Aber das war mir in der aufkommenden Euphorie, dass ich es geschafft hatte, irgendwie dann doch egal.
Der Vorteil von meinem scharfen Auftritt war, dass die Show begann, kaum hatte ich Platz genommen. Nach der Begrüssung übernahm offiziell das Gericht den Saal. Die Motion zum Vereidigen der 3142 Bewerber wurde vom Richter genehmigt. Wir mussten aufstehen, die rechte Hand erheben und den Treueeid nachsprechen:
Oath of Allegiance
“I hereby declare, on oath, that I absolutely and entirely renounce and abjure all allegiance and fidelity to any foreign prince, potentate, state, or sovereignty of whom or which I have heretofore been a subject or citizen; that I will support and defend the Constitution and laws of the United States of America against all enemies, foreign and domestic; that I will bear true faith and allegiance to the same; that I will bear arms on behalf of the United States when required by the law; that I will perform noncombatant service in the Armed Forces of the United States when required by the law; that I will perform work of national importance under civilian direction when required by the law; and that I take this obligation freely without any mental reservation or purpose of evasion; so help me God.”
Eine Vertreterin der Immigrationsbehörde USCIS vom Distrikt 23 begrüsste uns als neue Staatsbürger der USA. Danach wurde auf den beiden Grossbildschirmen eine Videobotschaft vom Präsidenten Obama gezeigt. Gefolgt von einer Art Musikvideo “Proud to be an American”.
Danach mussten wir erneut aufstehen und den Fahneneid leisten:
Pledge of Allegiance
“I pledge allegiance to the Flag of the United States of America and to the Republic for which it stands, one nation, under God, indivisible, with liberty and justice for all.”
Unmittelbar darauf, sozusagen als Schlussbouquet, folgte die Nationalhymne, welche ihr zurzeit an den Olympischen Sommerspielen in Rio wohl gerade öfter zu hören bekommt:
National Anthem - The Star-Spangled Banner
O! say can you see, by the dawn's early light,
What so proudly we hailed at the twilight's last gleaming,
Whose broad stripes and bright stars through the perilous fight,
O'er the ramparts we watched, were so gallantly streaming?
And the rockets' red glare, the bombs bursting in air,
Gave proof through the night that our flag was still there;
O! say does that star-spangled banner yet wave
O'er the land of the free and the home of the brave?
On the shore dimly seen through the mists of the deep,
Where the foe's haughty host in dread silence reposes,
What is that which the breeze, o'er the towering steep,
As it fitfully blows, half conceals, half discloses?
Now it catches the gleam of the morning's first beam,
In full glory reflected now shines in the stream:
'Tis the star-spangled banner, O! long may it wave
O'er the land of the free and the home of the brave.
And where is that band who so vauntingly swore
That the havoc of war and the battle's confusion,
A home and a country, should leave us no more?
Their blood has washed out their foul footsteps' pollution.
No refuge could save the hireling and slave
From the terror of flight, or the gloom of the grave:
And the star-spangled banner in triumph doth wave,
O'er the land of the free and the home of the brave.
O! thus be it ever, when freemen shall stand
Between their loved homes and the war's desolation.
Blest with vict'ry and peace, may the Heav'n rescued land
Praise the Power that hath made and preserved us a nation!
Then conquer we must, when our cause it is just,
And this be our motto: 'In God is our trust.'
And the star-spangled banner in triumph shall wave
O'er the land of the free and the home of the brave!
Nach einer guten Stunde war das ganze vorbei und ich nun Amerikaner. Beim hinausgehen registrierte ich mich gleich zum Abstimmen und schrieb mich ein als Unterstützer der Green Party (die Grünen), weil ich es einfach nicht über mich brachte, einer der zwei grossen Parteien zu wählen. Was sich da im kommenden November anbahnt ist eine Qual, aber das ist Stoff für eine andere Episode.
Ich fand Jimmy zum zweiten Mal an diesem Tag wohlbehalten in der Eingangshalle wieder und gemeinsam fuhren wir beide zurück nach Hause in der South Bay von Los Angeles. Und diese Fahrt war um einiges entspannter, darf ich zugeben…
Danke fürs Lesen
René